Prim. Dr. Heidi Kastner
© advantage Media
Im YAvida-Interview erklärt die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie die Bedeutung und Differenzierung von Schuld, innere moralische Instanzen und den unterschiedlichen Umgang der Geschlechter mit Schuldgefühlen.
YAvida: Was ist Schuld?
Heidi Kastner: Schuld wird in mehreren Kontexten verwendet. Die beiden Bereiche „Schuld im rechtlichen Sinn“ und „Schuld im moralischen Sinn“ sind nicht dasselbe. Es ist daher wichtig, diese Ebenen fein säuberlich auseinander zu halten.
Prim. Dr. Heidi Kastner
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Wie können die beiden Bereiche differenziert werden?
Schuld im rechtlichen Sinn ist ein Verstoß gegen das Gesetz, ein Verstoß gegen die geltenden Regeln eines Staates. Ob ich jedoch etwas selbst als Schuld empfinde, ist ein anderes Thema. Denn Schuld im moralischen Sinn ist ein Verstoß gegen das Gewissen – also diejenigen inneren Instanzen, die als „das Gewissen“ bezeichnet werden. Es ist ein Verstoß meines Verhaltens gegen meine eigenen moralischen Normen. Je nachdem, in welchem Kontext ich aufgewachsen bin, entwickelt sich diese innere Moralinstanz, d. h. Werte können variieren. Wir atmen quasi die Wertehaltungen unserer Umgebung ein und halten an diesen „Basic Beliefs“ über Generationen hinweg fest. Innere moralische Instanzen sind sehr stabil, sie verändern sich nicht so schnell und werden an die nächste Generation weitergegeben. Grundüberzeugungen bleiben demnach auch bei kulturellen Transfers bestehen, daher verändern Wertekurse keine Grundüberzeugungen.
Gibt es geschlechterspezifische Unterschiede?
Männer und Frauen gehen unterschiedlich mit ihren Bedürfnissen bzw. mit dem Thema Schuld um. Grundsätzlich ist zu sagen, dass Männer eher dazu neigen, ihren Machtanspruch direkt anzuwenden. Wohingegen die weibliche Tendenz dahin geht, externe Schuldzuschreibungen leicht zu übernehmen. Was aber in beiden Fällen nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die Eigenverantwortung. Das heißt, ich muss mir überlegen: Was tue ich da? Trifft das zu? Und wenn das nicht zutrifft, bin ich aufgerufen zu sagen: Nein, das nehme ich nicht!
ZUR PERSON
Heidi Kastner ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und seit rund 30 Jahren als Gerichtspsychiaterin tätig. Sie ist zudem Vorständin der Klinik für Psychiatrie mit Forensischem Schwerpunkt am Kepler Universitätsklinikum Linz und eine viel gefragte Gerichtsgutachterin für Strafrecht.